Die totale Sonnenfinsternis 2006 in Libyen
Ein Reisebericht mit Fotos von Stefan Thiele


Diamantring. 29.3.2006, 3. Kontakt. Canon Powershot G6 am Bresser Messier 127L

Die Idee
Nachdem die totale Sonnenfinsternis 1999 in weiten Teilen Deutschlands wetterbedingt nicht zu sehen war, wollten wir 2006 einen neuen Versuch unternehmen, dieses Naturschauspiel zu beobachten. Libyen sollte unser Ziel sein, denn für dieses Land waren die Wetteraussichten optimal. In der Nähe der Grenze zum Tschad sollte das Totalitätsmaximum mit 4 Minuten und 6 Sekunden erreicht werden, in einem der niederschlagsärmsten Gebiete weltweit. Wegen des Fehlens jeglicher touristischer Infrastruktur entschlossen wir uns aus Sicherheitsgründen, die Reise mit mehreren Geländewagen anzugehen. Drei Wochen Zeit sollten für die Gesamtfahrstrecke von 7.000 Kilometern ausreichen. Es war klar, daß diese Reise kein Picknick sein würde.-

Beobachtungsplatz. 29.3.2006, 42 Minuten vor der Totalität. Canon Powershot A410

Die Planung
1 Jahr vor der Reise wurde mit der Planung begonnen. Mit Hilfe hochauflösender Satellitenaufnahmen aus dem Internet wurde der Streckenverlauf bestimmt. Ein Geländefahrzeug mußte gefunden und mit wüstentauglicher Ausrüstung versehen werden, von der Sandschaufel über grobstollige Geländebereifung bis hin zu einem leistungsfähigen GPS Navigationsgerät. Wegen der zu erwartenden Belastungen auf den Geländepisten sollten die astronomischen Beobachtungsinstrumente möglichst robust sein. Ein geeignetes Teleskop zur Beobachtung der Finsternis wurde mit dem BRESSER MESSIER 127L gefunden. Die robuste Konstruktion und die lange Brennweite von 1200mm ließen das Gerät als besonders geeignet für die Fotografie der Sonnenkorona erscheinen. Ein CORONADO PST H-Alpha Teleskop sollte für die Beobachtung der partiellen Phasen dienen.

Mond. Am Tag nach der Finsternis über dem Militärcamp Waw el Kebir. Canon Powershot G6

Die Durchführung
Am 17.3.2006 geht es tatsächlich los. Vollgepackt bis unters Dach starten wir zu zweit in Richtung Genua. Bereits am nächsten Tag schwimmt unser Geländewagen im Bauch einer Mittelmeerfähre nach Afrika. In Tunis rollt unser Fahrzeug vom Schiff. Zügig geht es durch Tunesien nach Süden. Der Grenzübertritt nach Libyen ist ein mehrstündiges Martyrium. Wir füllen weiße und gelbe Zettel aus und die Passdaten müssen von Beamten handschriftlich ins Arabische übersetzt und eingetragen werden. Als sich die letzte aller Schranken hebt, erleben wir die schönste Wiedergutmachung für erlittene Qualen. An der nächstgelegenen Tankstelle bunkern wir Dieseltreibstoff für umgerechnet 10 Cent pro Liter. Volltanken für den Preis einer Maß Bier auf dem Münchner Oktoberfest. Einfach paradiesisch!
Nachdem wir unsere Wasservorräte ergänzt haben, geht es endgültig runter von der geteerten Straße.- Seitlich versetzt und mit riesiger Staubfahne hinter uns, tauchen wir ein in die menschenleere Steinwüste. Die Abfolge der vorher bestimmten Navigationspunkte auf dem Display unseres GARMIN GPS 60CSx Satelliten-Empfängers ermöglicht die exakte Orientierung. Im Verlauf der Reise quittiert der CD-Spieler seinen Dienst. Das feinsinnige Teil zerbricht, bis zur Besinnungslosigkeit gefoltert von den andauernden Vibrationen und dem allgegenwärtigen Staub. Der heiße Atem der Savanne dringt bis in die letzten Ritzen unseres Autos. Wir bahnen uns den eigenen Weg durch die Wüste. Autofahren macht auf einmal wieder richtig Spaß!
Auf dem weiten Weg zur Totalitätszone der Sonne überqueren wir das raue Gebirge des Jabal Bin Ghanima. Hier machen kurz hintereinander zwei Reifen eines mitfahrenden Geländewagens schlapp. Spitzes Gestein hat sich durch die Karkassen gebohrt. Zum Glück hat die stets gutgelaunte Besatzung zwei Ersatzräder an Bord.
In der Dämmerung des Vorabends zur Finsternis erreichen wir nach 11-stündiger Gewaltfahrt vollkommen erschöpft die Totalitätslinie bei Position Nord 23° 48´ 59.9" und Ost 17° 20´ 33.0". Um uns herum ist das absolute Nichts. Es sieht aus wie auf dem Mars. Kein einziger Grashalm, nicht mal Insekten. An dieser Stelle hat jedes Leben aufgehört zu existieren und außer uns ist weit und breit niemand und nichts zu sehen.
Am nächsten Morgen erfolgt der Aufbau der Instrumente und deren Kalibrierung. Testaufnahmen werden gemacht, der Himmel ist erwartungsgemäß tiefblau und wolkenlos. Wir sind bereit. Nur der Wind bläst unangenehm stark aus Nordost. Um 10h:51m:20s Ortszeit beobachten wir den 1. Kontakt. Die Mondscheibe berührt die Sonne am rechten Rand. Über mehr als eine Stunde hinweg wird die Sonnensichel zunehmend kleiner. Etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Totalität wird es merklich kühler, dafür läßt der anfangs noch kräftige Wind nach. Die Umgebung erscheint zunehmend in einem kraftlosen Licht. Wachsende Hektik bei den Bedienern der Kameras und Instrumente. Wird alles klappen? Taschenlampen werden in Griffweite positioniert. Um 12h:11m:25s dimmt eine geheimnisvolle Kraft das Licht in der Wüste herunter. Jubel und Jauchzen: Wir sehen die bedeckte Sonne wie ein schwarzes Auge am Himmel stehen, umgeben vom hellen Lichtkranz der Korona. Bis zum Abstand von drei Sonnendurchmessern verläuft das feingliedrige Geäst der Koronastrahlen. Auch mit bloßem Auge sind Strukturen zu erkennen, die durch starke Magnetfelder auf der Sonne in vorbestimmte Bahnen gezwungen werden. Der Planet Venus steht strahlend hell am Himmel. Merkur und Mars sollen sichtbar sein aber ich suche vergeblich nach diesen Planeten. Verglichen mit anderen Finsternissen scheint mir der Himmel und die Umgebung relativ hell zu sein. Der Horizont ist wie nach einem Sonnenuntergang orangefarben aufgehellt. Kameraverschlüsse klicken ununterbrochen, ein letztes "Ahh und Ohh" als der sogenannte Diamantring das kommende Ende der Totalität ankündigt. Dabei scheinen erste Lichtstrahlen der Sonne durch tiefe Mondtäler. Der Kernschatten des Mondes ist mit einer Geschwindigkeit von 3000 Kilometern pro Stunde über uns hinweggerast. Ein unvergleichliches kosmisches Schauspiel! Alle Mühen und Sorgen der vergangenen Tage sind vergessen. Das Erlebnis einer totalen Sonnenfinsternis in der Abgeschiedenheit der Wüste hat sich für den Rest des Lebens unauslöschlich in unsere Gehirne gebrannt.-

Oase. Der See "Um el Ma" ist ein Naturwunder mitten in der Wüste. Canon Powershot G6


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